Mord an Berta Cáceres: Verfahren mit Signalwirkung

Vor acht Jahren wurde Berta Cáceres von einem Killerkommando ermordet. Die Familie der honduranischen Umweltaktivistin versucht, auch die niederländische Entwicklungsbank FMO zur Verantwortung zu ziehen. Der von einem örtlichen Bauunternehmen in Auftrag gegebene Mord soll erst Dank der Gelder des halbstaatlichen Finanzunternehmens möglich geworden sein.

Kämpft dafür, dass alle an der Ermordung ihrer Mutter Beteiligten zur Verantwortung gezogen werden, auch um andere Umweltaktivist*innen besser zu schützen: Bertha Zúñiga Cáceres, eine Tochter der 2016 von einem Killerkommando getöteten honduranischen Umweltaktivistin Berta Cáceres. (Foto: UN Women/Ryan Brown/Flickr)

Am Ortseingang von La Esperanza hängt eine vergilbte Plakatwand mit dem Konterfei von Berta Cáceres, etwas weiter entfernt hat jemand die sechs Buchstaben COPINH auf die Rückseite eines Verkehrsschildes gemalt. Die Buchstaben stehen für „Rat indigener und populärer Organisationen aus Honduras“. Ein paar Meter hinter dem Schild biegt der Taxifahrer auf eine Schotterpiste ab. „Das Tagungszentrum liegt ziemlich abgelegen, hier kommen nur wenige Leute hin“, sagt der Mann und lenkt seinen Wagen schaukelnd an Neubauten und landwirtschaftlichen Betrieben vorbei. Dann taucht ein weitläufiger flacher Bau auf der linken Straßenseite auf.

„Utopia“ steht in dicken Lettern auf orangefarbenen Grund über der Eingangstür, daneben COPINH. Heute treffen sich Aktivist*innen aus der gesamten Region in dem Tagungszentrum mit dem hoffnungsvollen Namen, um das Jahresprogramm der Organisation zu planen. Unter den Versammelten ist auch Camilo Bermúdez, Leiter der Rechtsabteilung des Rates, der mich wenig später im Innenhof des Zentrums empfängt. Dort zieren etliche Aufkleber sowie ein paar Wandbilder mit dem Konterfei von Berta Cáceres die Fassade.

Die charismatische Umweltaktivistin Cáceres, Mitgründerin und langjährige Koordinatorin des COPINH, bleibt auch acht Jahre nach ihrem gewaltsamen Tod Gesicht und Symbol der Organisation. Am 2. März 2016 war sie in ihrem Haus in La Esperanza von Auftragskillern erschossen worden (siehe „Chronik eines angekündigten Mordes“ in woxx 1364). Die Angehörige der indigenen Minderheit der Lenca hatte gegen ein Wasserwerk mobilgemacht, das am heiligen Fluss der Lenca, dem Río Gualcarque, entstehen sollte. Niemand hatte die Betroffenen über den Plan informiert oder gar um Zustimmung gebeten.

„Das schreibt die Konvention 169 zum Schutz indigener Völker jedoch vor, die Honduras unterzeichnet hat“, sagt Bermúdez. Der 32 Jahre alte kolumbianische Sozialwissenschaftler ist Experte für internationales und lateinamerikanisches Menschenrecht und gemeinsam mit COPINH-Koordinatorin Bertha Zúñiga Cáceres, einer Tochter der Ermordeten, die treibende Kraft hinter dem Prozess, den die Organisation gemeinsam mit der Familie Cáceres in Amsterdam führt. Zur Verantwortung ziehen will man dort die niederländische Entwicklungsbank FMO, die sich laut Branchendarstellung auf die Kofinanzierung privatwirtschaftlicher Initiativen in Entwicklungs- und Schwellenländern konzentriert.

„Genau genommen sind es zwei Verfahren, die wir gegen die FMO-Bank angestrengt haben: ein zivilrechtliches, in dem es um den Verdacht der Fahrlässigkeit geht und ein strafrechtliches, in dem wegen des Verdachts der Mittäterschaft ermittelt wird“, so Bermúdez. Für die halbstaatliche Entwicklungsbank mit Sitz in Amsterdam sind beide Verfahren ein Desaster. Das Finanzunternehmen, an dem der niederländische Staat mit einer Anteilsmehrheit von 51 Prozent beteiligt ist, muss nachweisen, dass es den Kredit zum Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca 2014 nach internationalen Standards an die „Desa“, das ausführende Bauunternehmen, vergeben hat. 15 Millionen US-Dollar wurden damals bereitgestellt.

Camilo Bermúdez bezweifelt, dass die Bank damals regelkonform vorgegangen ist. Er wirft dem Finanzunternehmen vor, die „menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“ verletzt zu haben. Die FMO habe weder die lokalen Proteste noch die Bitten des COPINH ernst genommen. „Warum hat die Bank den Kredit an die Desa vergeben, obwohl zuvor das chinesische Bauunternehmen Sinohydro seinen Vertrag aufgelöst hat?“, so der Sozialwissenschaftler. Die chinesische Firma hatte sich im Oktober 2013 aus dem Vertrag zum Bau des Staudamms zurückgezogen, nachdem Tomás García, ebenfalls ein COPINH-Aktivist, bei einem friedlichen Protest von Soldaten der honduranischen Armee erschossen worden war. Für Bermúdez stand Garcías Tod an Beginn eines immer aggressiveren Vorgehens der Desa gegen die Proteste, die in dem Mord an Berta Cáceres im März 2016 ihren Höhepunkt fanden.

„Für viele vergleichbare Fälle und für viele laufende Konflikte könnte ein Prozess gegen die FMO den Weg aufzeigen, wie man sich in einem Land ohne funktionierende Justiz wehren kann.“

Man sei sich sicher, dass erst die Kreditvergabe durch die FMO das gewaltsame Vorgehen ermöglicht habe, so Bermúdez: „Darauf deutet die Auswertung der Telefongespräche und der Textbotschaften zwischen dem Killerkommando und den DESA-Verantwortlichen hin.“ 1,7 Millionen US-Dollar sind von der FMO über ein Konto der Deutschen Bank in New York am 23. Februar 2016 an das Zementunternehmen „Concretos del Caribe S.A.“ geflossen.

(Foto: Prachatai/Flickr)

Zugriff auf dieses Konto hatten der wegen Mittäterschaft am Mord an Berta Cáceres zu einer Haftstrafe von 22,5 Jahren verurteilte Desa-Geschäftsführer David Castillo, sowie Desa-Finanzchef Daniel Atala Midence. Letzterer ist Mitglied der politisch einflussreichen honduranischen Bankiersfamilie Atala Zablah. Gegen ihn läuft auch in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa ein Ermittlungsverfahren, denn er wird verdächtigt, der Auftraggeber des Mordes an Berta Cáceres gewesen zu sein.. Darauf deuten die Gesprächsmitschnitte zwischen Castillo und der Gruppe von Auftragskillern hin, die nahelegen, dass der Auftrag für die Ermordung der Umweltaktivistin, erst erteilt wurde, als das Geld aus Amsterdam in Honduras angekommen war – wenige Tage vor dem Mord vom 2. März 2016.

Aufgrund dieser Informationen erstatteten der COPINH und die Familie Cáceres am 28. Juni 2022 schließlich auch Anzeige gegen die Entwicklungsbank. Die Mitschnitte und Textnachrichten werfen zahlreiche Fragen auf. Warum hat die FMO die Kreditsumme über 15 Millionen US-Dollar nicht an den Kreditnehmer Desa direkt überwiesen? Warum wurde das Geld statt dessen in mehreren Tranchen und über ein Konto der Deutschen Bank in New York an ein Zementunternehmen in Honduras überwiesen? Letzteres taucht in dem Kreditabkommen zwischen FMO und Desa nämlich gar nicht auf, und die Desa-Verantwortlichen hatten auch keinen Zugriff auf dessen Konten.

Auf solche Fragen gibt die FMO-Pressesprecherin Monica Beek auf Anfrage der woxx keine Antwort. Da es ein laufendes Verfahren sei und überdies mit den COPINH-Anwälten verhandelt werde, dürfe sie sich nicht äußern. Auch der Anwalt der Kläger, Wout Albers, ist deshalb nicht zu einem Statement bereit. Er lässt aber durchblicken, dass derzeit alles auf einen Prozess hinauslaufe, da die Bank jegliches Fehlverhalten und jedwede Verantwortung strikt von sich weise.

Genau darum geht es jedoch der Familie Cáceres: Die Mitverantwortung der Bank soll öffentlich eingestanden und der Umgang mit dem Mord an Berta Cáceres so zu einem Präzedenzfall werden. um „Für viele vergleichbare Fälle und für viele laufende Konflikte könnte ein Prozess gegen die FMO den Weg aufzeigen, wie man sich in einem Land ohne funktionierende Justiz wehren kann“, sagt Bertha Zúñiga Cáceres. Die 33-Jährige ist seit 2017 COPINH-Koordinatorin und führt die Arbeit ihrer Mutter fort.

Dazu gehört die Koordination des Widerstands gegen insgesamt 51 weiterhin geltende Konzessionen für Wasserkraft- und andere „Entwicklungsprojekte“ im Gebiet der Lenca. Rund 131.000 Menschen in El Salvador und Honduras zählen sich zu dieser indigenen Ethnie und mindestens 200 Gemeinden sind im COPINH vertreten, der wichtigsten Organisation, die den Protest gegen die Konzessionsvergabe 2010 begann. Mit begrenztem Erfolg, wie Bertha Zúñiga sagt. „Selbst die Konzession für den Bau des Wasserkraftwerkes Agua Zarca am heiligen Fluss Gualcarque der Lenca ist trotz aller internationaler Aufmerksamkeit nach wie vor gültig“, kritisiert sie.

Eigentlich sollte das längst nicht mehr der Fall sein, denn die seit Januar 2022 amtierende progressive Präsidentin Xiomara Castro hatte wiederholt angekündigt, alle Bergbau- und Wasserkraftkonzessionen in dem mittelamerikanischen Land zu überprüfen und gegebenenfalls zu annullieren. Zwischenzeitlich hatte sie sogar in Aussicht gestellt, Honduras zum bergbaufreien Land zu erklären.

„Für uns ist jedes Instrument, jede Regelung, die Investitionen europäischer Unternehmen im Ausland klaren Vorgaben unterwirft, ein willkommener Fortschritt.“

De facto sei allerdings wenig passiert, kritisieren Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. „Von der Überprüfung aller strittigen Konzessionen durch das Umweltministerium ist nichts mehr zu hören und der Fall Guapinol zeigt, wie einflussreich die Bergbau-Lobby in Honduras ist“, meint der Menschenrechtsanwalt Joaquín Mejía. Im Januar vergangenen Jahres waren zwei Umweltaktivisten aus Guapinol erschossen worden, die Ermittlungen kommen nur zäh voran. Typisch für die honduranische Justiz. Die benötigte auch bei den Ermittlungen im Mordfall Berta Cáceres lange bis die Auftragskiller und der Koordinator des Mordes, David Castillo, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt waren.

Für Víctor Fernández, Anwalt der Nebenklage der Familie Cáceres, dennoch ein „kleiner Sieg“. Der „große Sieg“, eine Verurteilung des potenziellen Auftraggebers des Mordes an Berta Cáceres, ist mit der Ausstellung eines Haftbefehls für Daniel Atala Midence am 1. Dezember 2023 näher gerückt. Allerdings wurde der flüchtige Ex-Manager noch immer nicht gefasst, ein Prozess ist daher nicht in Sicht.

Die Ziele der Familie Cáceres und der COPINH bleiben dennoch klar. „Je mehr ermittelt, prozessiert und verurteilt wird, desto besser für Menschenrechtsverteidiger*innen wie meine Mutter“, meint Bertha Zúñiga, die hofft, dass diese dadurch besser geschützt sein werden. Aus der COPINH-Zentrale in La Esperanza verfolgt sie auch die Entwicklung rund um die stockende Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes. „Für uns ist jedes Instrument, jede Regelung, die Investitionen europäischer Unternehmen im Ausland klaren Vorgaben unterwirft, ein willkommener Fortschritt.“

Unterstützung aus dem Ausland ist Bertha Zúñiga willkommen, denn sie weiß, wie verhältnismäßig machtlos die Institutionen in Honduras aufgestellt sind. Auch ein Grund, weshalb sie gemeinsam mit ihren Geschwistern und der COPINH entschieden hatte, die Klage in Amsterdam einzureichen.

Wie es weitergeht, ist unklar. Ein Prozess in Honduras gegen Daniel Atala Midence als potenziellen Auftraggeber des Mordes könnte auch wieder Bewegung in die laufenden Ermittlungen gegen die FMO bringen. „Und es könnte vielleicht neue Beweise zu Tage fördern“, hofft COPINH-Direktor Camilo Bermúdez. Er ist davon überzeugt, dass sich die niederländische Entwicklungsbank zumindest fahrlässig verhalten hat. Doch noch etwas anderes treibt ihn um: „Warum wurde das Wasserkraftwerk für eine Leistung von 21,2 Megawatt geplant, obwohl der Wasserstrom des Río Gualcarque Studien zufolge maximal sechs Megawatt leisten kann?“ Auch auf diese Frage hat er bislang keine Antwort.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

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